Like a hurricane

Retrospektive William Friedkin

Wir alle sind uns der Macht der Bilder bewusst. Immer wieder erleben wir, wie Politiker und Populisten sie gezielt für ihre Zwecke nutzen. Und wir wissen natürlich auch, welch leichtes Spiel die Traumfabrik mit uns hat. Mit größter Selbstverständlichkeit reißen uns Hollywoods Visionen mit, und wir geben uns ihnen rückhaltlos hin, ebenso wie wir uns den Sensationen einer Achterbahnfahrt hingeben. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Filmbilder sind nicht nur Instrumente zur Manipulation von Menschen. Sie können auch Anstöße geben und einen Austausch von Gedanken anregen. Und gelegentlich gelingt ihnen sogar, uns mit dem zu konfrontieren, was wir nicht sehen können oder vielleicht auch gar nicht sehen wollen.

Diese ganz besondere Macht, die von Filmbildern ausgehen kann, hat William Friedkin schon ganz zu Beginn seiner Karriere erkannt und auf eindrucksvolle Weise ausgespielt. Sein allererster Film, die 1962 entstandene, einstündige Fernsehdokumentation »The People vs. Paul Crump«, hat dem 1935 in Chicago geborenen Filmemacher nicht nur den Weg nach Hollywood geebnet. Sie hat den zum Tode verurteilten Paul Crump auch vor dem elektrischen Stuhl bewahrt. Die dokumentarischen Aufnahmen von Crump in seiner Zelle, der nach neun Jahren im Todestrakt kurz davor ist aufzugeben, und die nachgestellten Szenen, die von einem entgleisten Raubüberfall und hemmungsloser Polizeigewalt erzählen, steigern sich in ihrem Wechselspiel zu einem Aufschrei. Friedkin fordert Gerechtigkeit für Paul Crump, dem das US-amerikanische Justizsystem keine Chance gelassen hat. Aber er fordert auch noch etwas ganz anderes, einen freien Blick, der sich nicht manipulieren lässt. Das harsche Chiaroscuro der Schwarzweißbilder dieser Dokumentation ist mehr als nur ein Stilmittel. In ihm offenbart sich eine ambivalente, in einem ständigen Widerstreit stehende Wirklichkeit, in der es keine eindeutigen Antworten gibt.

Diese Ambivalenz ist der eigentliche Kern von William Friedkins Schaffen. Er, der anders als die Repräsentanten des New Hollywood keine Filmschule besucht hat, nähert sich dem Kino auf eine andere Weise als Francis Ford Coppola oder Steven Spielberg, Martin Scorsese oder Peter Bogdanovich. Wie sie ist auch Friedkin Teil jener »American Renaissance«, deren Vertreter in den späten 1960er und 1970er Jahren das amerikanische Kino wiederbelebt und dabei noch einmal neuerfunden haben. »The French Connection« (1971) und »The Exorcist « (1973), seine beiden größten Erfolge, gehören zu den ikonischen Werken jener Zeit. Die Geschichte des verbissenen New Yorker Detective Jimmy »Popeye« Doyle und das Schicksal der 12-jährigen, vom Teufel besessenen Regan spiegeln wie die Chronik vom »Godfather« und seiner Mafia-Familie oder die Saga des »Taxi Driver« den Geist jener Ära, die ebenso von der Politik Richard Nixons wie von der Radikalisierung einiger Teile der Protestbewegungen bestimmt wurde.

Nur ist Friedkin im Gegensatz zu Coppola und Scorsese nicht nur ein grandioser visueller Geschichtenerzähler, der einen mit aller Macht in die Welt seiner Figuren hineinzieht. Er ist zugleich auch immer ein Dokumentarist geblieben. Die Direktheit und Spontaneität seines Debüts »The People vs. Paul Crump« erfüllen all seine Arbeiten. Die agile Kameraarbeit Enrique Bravos, der bei Produktionen wie »The French Connection«, »The Brink’s Job« (1978) und »Cruising« (1980) sein Camera Operator war, provoziert eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Nicht alle Einstellungen in seinen Filmen sind makellos. Aber jede einzelne von ihnen verleitet das Publikum dazu, eine eigene Position zu finden. In Friedkins Kino gibt es keinen allwissenden Erzähler, und es gibt auch keine Sicherheit. Es gibt nur Szenen und Momente, die man selbst zusammensetzen muss. Natürlich ist der von Gene Hackman gespielte »Popeye« Doyle auf der richtigen Fährte, wenn er sich in den Franzosen Alain Charnier regelrecht verbeißt. Doch seine Methoden bleiben ebenso fragwürdig wie sein Verhalten.

»I consider myself just another member of the crew, the highest paid member of the crew.«

William Friedkin

William Friedkin gehört fraglos zu den radikalsten Filmemachern der US-amerikanischen Kinogeschichte. Davon zeugen die vielen, heute nur noch schwer vorstellbaren Geschichten und Legenden, die sich um die Dreharbeiten zu seinen Filmen ranken. Aber letztlich ist sein Image als »Hurricane Billy« nur eine Nebensache. Die wahre Radikalität seiner Filme liegt in ihrer absoluten Offenheit. Seine Adaptionen von Harold Pinters »The Birthday Party« und Mart Crowleys »The Boys in the Band« (1970) lassen einen ebenso verunsichert zurück wie »Bug« (2007) und »Killer Joe« (2011), seine Jahrzehnte später entstandenen Verfilmungen zweier Stücke von Tracy Letts. Wenn Robert Shaws Figur am Morgen nach der Geburtstagsfeier von den beiden mysteriösen Besuchern aus der kleinen Pension verschleppt wird, bleibt eine existenzielle Verunsicherung zurück, die einen gleich wieder erfasst, sobald man miterlebt, wie Matthew McConaugheys Joe, dieser Polizist und Killer, sein menschliches Pfand verführt. Was in diesen Momenten geschieht, entzieht sich einer eindeutigen Bewertung. Rationale Erklärungen geraten genauso wie vorgefertigte moralische Haltungen in Friedkins Filmen schnell an ihre Grenzen. Man muss seine eigenen Schlüsse ziehen und den Widerstreit aushalten, den die Bilder in einem auslösen. Selbst wenn man am Ende glaubt, dass der Teufel in Regan gefahren ist, bleibt eine Unsicherheit zurück. Der Horror, den Friedkin in »The Exorcist« heraufbeschwört, geht weit über die Schockmomente des Films hinaus. Er stürzt einen in eine Ungewissheit, die kaum auszuhalten ist. Aber genau darin liegt die überwältigende Kraft von Friedkins Kino, das in seiner moralischen und auch politischen Ambiguität heute aktueller denn je ist.