»MORE HUMAN THAN HUMAN.« PORTRÄT EINER KÜNSTLERIN

A Tribute to Joanna Cassidy

»Die Schöne und das Biest – sie ist beides.«

Mit dieser Umschreibung wurde Joanna Cassidy in ihrer wohl prägendsten Rolle als Zhora im »Blade Runner« eingeführt. Gar nicht mal eine große Rolle, die ihr als einer der vier entflohenen Replikanten zugewiesen wurde, aber eine, die aus dem ohnehin übergroßen Schatten dieses Meilensteins des Kinos noch herausragt und bis heute ihren Kultstatus sichert. Inzwischen blickt die Hollywood Ikone auf bald fünfzig erfolgreiche Jahre im Showgeschäft zurück, in denen sie mit fast gleichbleibendem Erfolg zur festen Schauspielgröße wurde. Mit der internationalen Premiere des Neo-Noir-Thrillers »Too Late« von Dennis Hauck stellt das Filmfest eine ihrer jüngsten Arbeiten vor und schwelgt zudem mit Vorführungen von »Unter Feuer«, »Blade Runner« und »Falsches Spiel mit Roger Rabbit« in ihrer und unser aller großen Kinovergangenheit.

Eigentlich hätte Joanna Cassidy in Ridley Scotts »Blade Runner« einen Schlangentanz aufführen sollen. Aber die Szene wurde auf die Pause nach ihrem Auftritt in Taffey’s Bar zusammengestrichen. Doch auch so hat Cassidy als Nexus-6-Replikantin Zhora einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Geführt unter der Seriennummer N6FAB61216 war sie gemeinsam mit Rutger Hauers Roy und einigen anderen abtrünnigen Androiden auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, bis sie mit einer Schlange um ihren Hals von Harrisons Fords Deckard aufgespürt wurde. Auf der Flucht erschossen stirbt sie einen der eindrucksvollsten und melancholischsten Leinwandtode im Zeitlupen-Scherbenhagel berstender Schaufensterscheiben. Ach, und die Schlange, mit der sie in ihrem Kinodurchbruch zu sehen ist, war ihre eigene, so wie einer der Mustangs, der 15 Jahre zuvor neben ihrer winzigen Rolle im Steve McQueen Klassiker »Bullit« als ›Statist‹ durchs Bild bewegt wurde. Damals wohnte sie in San Francisco und arbeitete als Model bis sie 1974 nach Los Angeles zog und zunächst vor allem vor der Fernsehkamera stand. Sie spielte Gastrollen in »Kobra übernehmen Sie« oder »Starsky & Hutch«, aber auch ihre erste Kinohauptrolle an der Seite von George C. Scott in »Klauen
wir gleich die ganze Bank«. Fast wäre sie schon in dieser Zeit berühmt geworden, wenn ihr nicht Lynda Jean Carter den Part als »Wonder Woman« weggeschnappt hätte.

Joanna Cassidy gehört zu den wenigen Schauspielerinnen ihrer Generation, die nie ein Problem mit dem Nebeneinander von TV- und Kinoprojekten hatten, das heute fast schon zum guten Ton gehört. Zu ihren jüngeren Arbeiten gehören die wegweisende Serie »Six Feet Under«, in der sie genauso zur Stammbesetzung zählte wie in »Body of Proof«, »Call me Fitz« oder aktuell »Odd Mom out«. In über 150 Produktionen stand sie vor der Kamera, wurde mehrfach für einen Emmy nominiert und gewann 1984 einen Golden Globe für »Buffalo Bill«, während sie gleichzeitig ihre goldene Kinozeit erlebte und etwa mit Gene Hackman und Nick Nolte in »Under Fire« oder neben Michael Caine und Pierce Brosnan in »Das vierte Protokoll« spielte. Auch in »Falsches Spiel mit Roger Rabbit«, der bahnbrechenden Mischung aus Realfilm und Cartoon, hinterließ Joanna Cassidy einen bleibenden Eindruck neben Bob Hoskins mit einigen der besten punch lines des Films:
»Is that a rabbit in your pocket or are you just happy to see me?«.

Über die Kurzlebigkeit dieses gnadenlosen Geschäfts vor der Kamera nimmt sie eine ganz und gar entspannte Haltung ein: »Je älter ich werde, desto schwieriger ist es für mich normal zu sein. Ich kann es nicht ausstehen, wenn die Leute meinen, sagen zu müssen, was man im Alter alles nicht mehr tun soll. Ich bin eine ehrenwerte und exzentrische Dame, die nicht aufhören wird, ihre Phantasie spielen zu lassen. Ich mag es,
Dummheiten zu begehen, aber letztlich reden wir hier darüber, sich seine Kreativität nicht unterdrücken zu lassen.«

Sie ist Malerin, Bildhauerin, Tier-Aktivistin und sie ist eine Ikone. Für die meisten Genre-Fans wird sie immer Zhora sein, doch ihre kreative Kraft ist ungebrochen und wird uns weiter zu überraschen wissen. Auf der Leinwand und im Leben, Joanna Cassidy ist ein Juwel und eine Klasse für sich. Als sie vor Kurzem vom Vice Magazine interviewt wurde, beeindruckte sie den Journalisten mit solcher Anmut, dass er schrieb:
»Ich fragte mich, ob sie vielleicht ein Replikant sein, weil sie mir menschlicher als der Mensch erschien.«