Das 31. Filmfest Oldenburg ehrt Myanmar-Künstler im Exil und gibt erste Highlights des Line-Ups bekannt
Beim 28. Filmfest lief „What happend to the Wolf“ von Na Gyi und Paing Phyo Thu als Weltpremiere in Oldenburg. Seit dem Militärputsch in Myanmar 2021 sind Künstler aus dem ganzen Land auf der Flucht, auch Na Gyi und Paing Phyo Thu. Nun widmet das 31. Internationale Filmfest Oldenburg den Filmemachern ein Tribute, um ihre Kunst zu würdigen und die öffentliche Aufmerksamkeit nach Myanmar zu lenken.
Tribute für Na Gyi and Paing Phyo Thu
Der Regisseur Na Gyi und seine Frau Paing Phyo Thu, als Schauspielerin mit dem Myanmar Academy Award ausgezeichnet, sind im Westen eher unbekannt. In Myanmar ist das Filmemacherpaar aber nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt.
Vom ersten Tag des Militärputsches am 1. Februar 2021 an, war das prominente Paar auf der Straße, um gegen die Militärjunta zu protestieren. Innerhalb weniger Tage zogen die friedlichen Demonstrationen in Myanmar Hunderttausende von Menschen an. Ein von dem freischaffenden Fotografen Anonymous aufgenommenes Bild von Paing Phyo Thu, wie sie den Drei-Finger-Gruß zeigt - ein Symbol aus der „Hunger Games“-Serie, das zum Leitmotiv der Demokratiebewegung wurde -, ging viral und wurde für den Pulitzer-Preis nominiert.
Am 3. April wurde dann gemäß Abschnitt 505 (a) ein Haftbefehl gegen Paing erlassen, mit der Begründung, dass sie „ihre Popularität“ genutzt habe, um Beamte zur Teilnahme an Protesten gegen die Militärjunta zu ermutigen, die die Kontrolle über die Regierung übernommen hatte. Unter Androhung von Haft auf unbestimmte Zeit und Folter war das Paar gezwungen, sich zu verstecken, blieb aber dennoch trotzig: „Es gibt kein Zurück mehr“, erklärte Paing. „Wir haben beschlossen, dass wir das tun werden, und wir werden bis zum Ende kämpfen.“
Am 3. März, einen Monat eher, erhielt das Internationale Filmfest Oldenburg eine Einreichung aus Myanmar mit dem Titel „What Happened to the Wolf?“. Unter der Regie von Na Gyi spielen Paing und ihre Schauspielkollegin Eaindra Kyaw Zin in den Hauptrollen zwei unheilbare kranke Patienten, die sich kennenlernen und verlieben. Das Thema des Filmes war damit zwar an sich nicht politisch, aber dennoch Grund genug für die Verfolgung in Myanmar.
Im September feierte der Film dann Weltpremiere in Oldenburg und der Trailer erreichte auf der Facebook-Seite des Festivals über eine Millionen Aufrufe. Im selben Jahr erhielt Eaindra den Seymour Cassel Award als beste Schauspielerin, konnte aber nicht selbst an der Preisverleihung teilnehmen, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Monaten wegen ihrer prominenten Teilnahme an den Demonstrationen inhaftiert war, ohne dass man etwas über ihren Zustand wusste.
Als die Morddrohungen gegen sie und ihre Künstler-, Journalisten- und Rebellenkollegen zunahmen, trafen Na Gyi und Paing Phyo Thu die schwierige Entscheidung, aus ihrer Heimat Myanmar zu fliehen, um zu überleben. Nach monatelanger Reise durch gefährliches Gebiet gründeten sie, nachdem sie sich in Sicherheit befunden hatten, von einem unbekannten Ort in einem benachbarten Land The Artists Shelter, um myanmarische Künstler im Exil zu unterstützen.
Das Tribute 2024 umfasst ihre erste Zusammenarbeit in einem Spielfilm, „Mi“ aus dem Jahr 2019, eine Verfilmung eines berühmten Romans von Ki Aye aus Myanmar, in dem Paing eine respektlose und unbekümmerte junge Frau spielt, die an Tuberkulose stirbt. Der Film, der in den 1940er Jahren spielt, war ein großer Publikumserfolg und wurde von der Kritik gelobt, aber von der Academy wegen seiner provokativen Authentizität schockierend abgelehnt.
Ihr zweiter gemeinsamer Spielfilm, „What Happened to the Wolf?“ aus dem Jahr 2021, wird ebenfalls im Rahmen des Tributes gezeigt, ebenso wie ihre drei gemeinsamen Kurzfilme: „Guilt“, „Our Turn“ und „My Lost Nation“.
Nachdem das Filmemacherpaar die ganze Zeit über mit der Festivalleitung in Kontakt geblieben war, hoffte es nach über zwei Jahren im Exil auf den Erhalt von Reisedokumenten und freute sich darauf, als Tribute Honorees 2024 nach Oldenburg zu kommen. Leider befindet sich das Paar bis heute noch immer in einem gefährlichen Schwebezustand aus Bürokratie und internationaler Politik und wird nicht vor Ort in Oldenburg sein können. Interviewwünsche können aber über das Filmfest organisiert werden.
Weitere Highlights:
Flieg Steil, Deutschland 2024, Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper
In ihrem Debütfilm als Filmemacherinnen gehen die deutschen Schauspielerinnen Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper dem aufkommenden Radikalismus auf den Grund. Konnie, eine Nazi-Rockmusikerin, die einer faschistischen Untergrundszene in Berlin angehört, verliert an Popularität unter Gleichgesinnten. Seit sie begonnen hat, gender-, sex- und körperfreundliche Botschaften in ihre nazi-zentrierte Musik einzubauen und ihre ultra-feministischen Ansichten öffentlich zu verteidigen, wenden sich ihre Kameraden gegen sie. Vor allem der Nazi-Kneipenbesitzer und Gruppenleiter Andi will ihr eine Lektion erteilen, die sie nicht vergessen wird. In einer Dreiecksbeziehung zwischen links und rechts, die mit dem Tod endet, ist „Flieg Steil“ mutig und kraftvoll, da es verdrängte Grenzen verschiebt. Weltpremiere
James, Kanada 2024, Max Train
Eine Noir-Comedy über einen Mann, der sein Leben nicht in den Griff bekommen will, bis er ganz unten ankommt und in einem Müllhaufen ein altes Rennradgestell findet. Dylan Beatch spielt die Hauptrolle des James: ein vom Pech verfolgter Mann, der das Excalibur unter den Fahrrädern entdeckt und damit neuen Schwung in sein Leben bringt. Aber es kommt wie es kommen muss: Das Glück ruft Neider auf den Plan, ein gerissener und zu allem entschlossener Sammler, der als einziger die wahre Geschichte und den Wert dieses Fahrrads erkennt, stellt sich ihm in den Weg. Der Geist von Jim Jarmush und den Cohen Brüdern weht durch Max Trains Liebeserklärung an das Fahrrad als Kultobjekt. Weltpremiere
Baby Brother, UK 2024, Michael J. Long
Michael J. Long hat sich mit „Baby Brother“ so nah an das wahre Leben ganz weit am Rande der Gesellschaft begeben, wie es kein Film mit größerem Budget jemals schaffen würde. In seinem kraftvollen Regiedebüt über Adam und seinem viel zu gutmütigen kleinen Bruder Liam, die in einer zerrütteten Familie in einem heruntergekommenen Viertel von Liverpool aufgewachsen sind, erzählt er teilweise unerträglich hart und dann wieder durchmischt mit Momenten purer Freude und Poesie von Leben, die bereits im Moment der Geburt zum Scheitern verurteilt sind. Eine eindringliche Geschichte von brüderlicher Liebe, die durch die Umstände verloren geht. Weltpremiere
$$$ (Money), USA 2024, Jake Remington
In seinem Spielfilmdebüt kombiniert der amerikanische Autodidakt unverfälschtes Dokumentarfilmmaterial mit einer Guerilla-Produktion, um eine New Yorker Untergrundwelt einzufangen, die man selten auf der Leinwand sieht. In der Hoffnung, dem Treibsand der Fußstapfen ihres Vaters zu entkommen, spielen Joe Sonnenblick und Teo Babini die Hauptrollen Joe und Teo. Sie sind zwei beste Freunde, die versuchen, ihr Schicksal durch Drogen und Pferdewetten zu ändern. In diesem emotionalen, rauen und aufregenden Ritt lässt Jake Remington eine Cassavetes-Atmosphäre und die unnachgiebige Kraft von Bresson aufleben. Während der Dreharbeiten wurde echtes Geld verwettet, gewonnen und verloren, was das Wagnis widerspiegelt, einen Film in dieser Männerwelt zu drehen. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat.
Internationale Premiere
The Second Act, Frankreich 2024, Quentin Dupieux
Die Geschichte von David, der seine Eroberung Florence lieber in die Arme seines Kumpels Willy treiben will, als selbst in einer festen Beziehung zu landen. Florence dagegen plant David sofort ihrem Vater vorzustellen, um die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu untermauern. Die vier treffen in dem Café „Le Deuxieme Acte“ aufeinander. Der diesjährige Eröffnungsfilm von Cannes zeigt Frankreichs Enfant Terrible Quentin Dupieux auf der Höhe seiner Kunst, Erwartungen seines Publikums zu brechen, Regeln der Filmerzählung auf den Kopf zu stellen und dabei eine unerschöpfliche Quelle der wildesten Inspiration zu sein. Deutschlandpremiere
Bang Bang, USA 2024, Vincent Grashaw
Tim Blake Nelson in einer Paraderolle als einsamer und verbitterter Ex-Boxer, dem das Leben zu viele Schläge versetzt hat und, egal wie sehr er es sich wünschen würde, das Schicksal ihm eine Revanche verweigert. Erst als sein Enkel Justin bei ihm einzieht, scheint das Schicksal ihm doch noch seinen großen Kampf zu spendieren. Wie er versucht, scheitert, hinfällt und wieder aufsteht, ist die Geschichte und das Herz von „Bang Bang“, einer wunderbar herzlichen, urkomischen, oft anstößigen Erzählung über einen Mann, der sich selbst in Bedrängnis gebracht hat. Deutschlandpremiere
Am Ende der Wahrheit, Deutschland 2024, Saralisa Volm
Saralisa Volm erzählt nuanciert die Geschichte von Martina, einer erfolgreichen Chirurgin, deren Leben durch einen Moment des ersehnten Kontrollverlusts aus der Bahn gerät. In einem Umfeld, in dem der äußere Schein alles bedeutet und Gefühle stets hinter dem Erwartungsdruck einer gesellschaftlichen Moral zurückstehen müssen, liefert Maria Furtwängler beim taumelnden Wiedereintritt in die bürgerliche Normalität eine schauspielerische Tour de Force.
Electra, Italien / USA 2024, Hala Matar
Ein Journalist reist mit seiner Freundin nach Rom, um einen berühmten Musiker zu interviewen. Doch das Interview scheint bei weitem nicht alles zu sein, was das Pärchen begehrt. Mit Anleihen von der griechischen Tragödie erzählt Hala Matar in ihren ersten Spielfilm eine betörende Geschichte um Liebe, Verrat und Begehren. Als Hommage an ihr Vorbild Fellini entwirft sie mit ausschweifendem Produktionsdesign, berauschend schönen italienischen Settings einen Film, der gekonnt das Drama mit Leichtigkeit, Farben und sehr vielen erfrischenden Ideen balanciert. Hala Matars Regiedebüt ist der erste von einer Frau aus Bahrain inszenierte Spielfilm. Deutschlandpremiere
THREE, Vereinigte Arabische Emirate 2024, Nayla Al Khaja
In ihrem Spielfilmdebüt „Three“ erzählt Nayla Al Khaja, die erste weibliche Regisseurin in den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine metaphorische, psychologische Horror-Geschichte, um die Gegensätze zwischen östlichen und westlichen Glaubenssystemen zu durchdringen. Der junge Ahmed (gespielt von dem Newcomer Saud Alzarooni) wird in der Schule gemobbt und beginnt, sich seltsam zu verhalten, woraufhin seine Mutter überzeugt ist, dass er verflucht sei und ihn zu einem traditionellen Heiler bringt. Ein engagierter britischer Arzt (Jefferson Hall) ist anfangs skeptisch gegenüber Behauptungen über den „bösen Blick“, jedoch muss er in die Kultur des Jungen eintauchen, um ihn zu retten. In Anlehnung an die erschreckende Kraft von William Friedkins Klassiker „Der Exorzist“ von 1973 überschreitet Regisseurin Nayla Al Khaja Grenzen und stellt Überzeugungen in Frage. Europäische Premiere
Telepathic Letters, Portugal 2024, Edgar Pêra
Edgar Pêra ist Europas unbändigster Bilderstürmer. Als Künstler ebenso wie als Filmemacher sucht er permanent nach den Grenzverläufen zwischen Unterbewusstsein, Moral und gesellschaftlicher Einengung. Fast unumgänglich ist daraus seine Faszination für die Schriftsteller Fernando Pessoa und H.P. Lovecraft erwachsen, denen er in seinem traumwandlerischen „Telepathic Letters“ eine Brieffreundschaft andichtet, die es zwar nie real gab, aus der Logik des Träumers aber in einer höheren Dimension so gegeben haben muss. Film als bewusstseinserweiterndes Medium at its best. Deutschlandpremiere
Saint Clare, USA 2024, Mitzi Peirone
Basierend auf dem Roman „Clare at 16“ erzählt Mitzi Peirone in ihrem zweiten Spielfilm die Geschichte von Clare, einem katholischen Schulmädchen, das in einer Kleinstadt als Waise bei ihren Großeltern lebt. Ihre unbedingte Liebe zur guten Sache bringt sie an den Punkt, an dem sie nicht mehr klar definieren kann, welchen Weg sie beschreiten muss in ihrem Leben. Als ihr Stimmen im Kopf empfehlen das Böse auszulöschen, wird sie zu einem Racheengel in Schuluniform. Mit Bella Thorne in der Titelrolle und Ryan Phillippe und Rebecca de Mornay aufregend besetzt, hat Mitzi Peirone eine ebenso vergnügliche wie beängstigende Horror-Romanze geschaffen. Deutschlandpremiere