Jen Gatien

Manhattan Maverick

Im Spannungsfeld von Kunst und Kommerz kommt dem Produzenten meist die Rolle des Antagonisten zu. Schließlich steht er in den Augen vieler Cinephiler auf der anderen Seite, gegenüber den Visionären, den Filmemachern, die diese Form des Erzählens zur siebten Kunst erheben. Und es ist wohl so, dass die meisten Produzenten das Risiko scheuen, und nur für wenige scheint das Risiko der Nährboden zu sein, aus dem heraus ihre Arbeit entstehen kann. Man denkt an den in diesem Jahr verstorbenen Ed Pressman, der dem amerikanischen Kino einige Sternstunden bescherte und in seiner langen Karriere Filmemacher wie Terence Malick, Brian de Palma oder Oliver Stone auf dem Weg zum Weltruhm begleitet hat. Oder an Christine Vachon, die mit ihren mutigen Projekten in den 90er Jahren das New Queer Cinema in den USA begründete.

Jen Gatien hat ihre Liebe zum Kino und zum Geschichtenerzählen seit Beginn ihrer Karriere in den Nuller Jahren immer vor alle Vernunft und alle finanziellen Risiken gestellt. Wie kaum jemand anderes ist sie in einer neuen Generation unabhängiger Produzenten diejenige, die mit ihrer Arbeit dem sonst eher Filmemachern verliehenen Label »Maverick« gerecht wird.

Als Regisseurin Deborah Kampmeier die 12-jährige Dakota Fanning für ihren Film »Hounddog« besetzte, löste eine Szene mit ihr einen Skandal aus. Das Nebeneinander der medialen Aufregung um einen ganz jungen, neuen Hollywoodstar und das Thema sexuelle Gewalt gegen Minderjährige gipfelte in einer wütend geführten Kontroverse. Ein Verbot des Films wurde gefordert, die Auswertung im Kino war kaum mehr möglich. Jen Gatien stellte sich als Produzentin hinter die Regisseurin und den jungen Star und verteidigte die künstlerische und erzählerische Autonomität des Films. Die Bedeutung, einem Filmemacher die Umsetzung seiner Vision zu ermöglichen und sich mit der Entscheidung, dies zu tun auch gegen eigene Interessen voll dahinter zu stellen, wurde schon mit diesem ersten großen Film auf die Probe gestellt.

Das nächste Projekt war ein künstlerisch fast noch riskanteres – dem »enfant terrible« des amerikanischen Independentkinos, Abel Ferrara, einen Film ohne Drehbuch anzuvertrauen und dazu Stars wie Dennis Hopper, Grace Jones oder Ethan Hawke vor die Kamera zu holen. Die Dokumentation über die New Yorker Legende, das Chelsea Hotel, wurde in den Händen dieser anderen New Yorker Legende zu einem der schönsten und einfühlsamsten Filme Ferraras.

Von da an hat Gatien mit ihren Projekten, deren Geschichten sich immer am Rand der Gesellschaft bewegen, dem amerikanischen Independentkino Impulse gegeben, neue junge Talente sowohl hinter als auch vor der Kamera gefördert. Einige Perlen des beseelten Kinos sind unter ihrer Begleitung entstanden. »Holy Rollers« gab dem jungen Jesse Eisenberg Gelegenheit, sich als starker Charakterdarsteller ins Gedächtnis zu bringen. Riley Keoghs Stern ging auf mit »Jack and Diane« und »Dixieland«. Für seine Rolle in »For Ellen« wurde Paul Dano zurecht von der Kritik gefeiert und mit »Kiss of the Damned«, der in Venedig seine Premiere feierte, bewies Xan Cassavetes, die Tochter des Übervaters des amerikanischen Independentkinos, John Cassavetes, ihr erzählerisches Talent und schuf einen elegischen Vampirfilm, der in den Zeiten der Teenage Vampire à la »Twilight« das erotisch aufgeladene Genre dem erwachsenen Zuschauer zurück übereignete.

Auch wenn das New Yorker Independentkino seine besondere Position aus den 90er Jahren nach und nach einbüßte, die Distanz zu Hollywood, die Direktheit des urbanen Lebens hat auch Jen Gatiens Instinkt für Stoffe gestärkt, die fester im Leben und im Leben am Rande der Gesellschaft verankert sind. Ihr Blick auf Außenseiter steht weit entfernt vom Hollywood-Einerlei in der Tradition solcher – auch aus New York stammenden – Produzenten wie Pressman oder Vachon, den Mavericks, die wie die besten Auteurs in ihrem Oeuvre einen roten Faden erkennen lassen.

 

Chelsea on the Rocks (USA 2008)

Abel Ferrara, berühmt berüchtigtes »enfant terrible« des Undergroundfilms dreht seine Ode an das Chelsea Hotel, dieses legendäres Wahrzeichen des New Yorks der Künstler und Gestrandeten, um das sich Legenden ranken. Und Ferrara erzählt die Geschichte dieses Hauses so konzentriert und poetisch, wie wir schon lange nichts mehr von ihm gesehen haben. Er lässt langjährige Bewohner erzählen von den Geschichten dieses Hauses, holt sich Kenner des Hotels wie Ethan Hawke, Dennis Hopper oder Milos Forman vor die Kamera und spürt den legendären Geschehnissen in kleinen filmisch erzählten Episoden nach. Ferrara verknüpft das klug mit einer Kritik an unserer Zeit, die nach immer mehr Gleichschaltung, Kontrolle und Ordnung strebt. Das Chelsea ist ein Opfer dieses Wandels, der New York schleichend aber hart trifft. Es wird in eine glatte Touristenherberge umgewandelt, die Residents werden entmietet und alle störenden Elemente entfernt. In der schönen neuen Welt ist kein Platz für die anders Denkenden und Lebenden. Das gilt für das Chelsea ebenso wie für Ferrara, das macht diesen Film zu einem wunderschönen Blues über zwei New Yorker Legenden.

Jack and Diane (USA 2011)

»Jack and Diane« erzählt von den Feinheiten der ersten Liebe vor dem lebendigen Hintergrund New Yorks und begibt sich auf eine Reise in das Leben von zwei jungen Frauen, Jack (Riley Keough) und Diane (Juno Temple), deren zufällige Begegnung eine hinreißende Wirbelwind-Romanze entfacht. Ihre Verbindung trotzt allen Erwartungen und durchbricht Jacks raue Fassade und Dianes anfängliche Unschuld. Doch als Diane Pläne für ein Studium in Europa hegt und Jack sich zunehmend von ihr distanziert, droht ein abruptes Ende ihrer leidenschaftlichen Bindung. Während sie verzweifelt versuchen, ihre aufblühende Romanze und Gefühle zu retten, kämpft Diane mit verstörenden Visionen, die sie vor Jack verbirgt. Riley Keough und Juno Temple balancieren Süße mit makabren Untertönen und durchtränken ihre Sommer- Liebesgeschichte mit einer unheimlichen Energie. Die Stadt selbst haucht ihrer Erzählung Leben ein, ein Charakter, der den Puls ihrer Romanze widerspiegelt. Mit viel Einfühlungsvermögen in die Gefühlwelten seiner beiden Protagonisten verwebt »Jack and Diane« ganz sanft die Essenz zarter Zuneigung mit dem Horror der Verletzlichkeit erster Liebe - unschuldig und schön, aber auch in einen unheimlichen Schatten gehüllt. Love is a Monster.

For Ellen (USA 2012)

In einer kleinen, schneebedeckten Stadt ringt der absteigende Rockmusiker Joby Taylor (Paul Dano) mit der Rolle des Vaterseins und persönlichen Ambitionen. Verwickelt in den Sorgerechtsstreit um seine entfremdete Tochter Ellen, sieht er sich mit dem emotionalen Ballast und der zerrütteten Beziehung zu Ellen konfrontiert. Während er durch weite, schneebedeckte Landschaften fährt, begibt sich Joby auf eine introspektive Reise, wobei die grenzenlose Weiße die innerliche emotionale Ambiguität widerspiegelt. Regisseurin So Yong Kim erzählt in »For Ellen« nicht nur die Geschichte eines am Abgrund stehenden Mannes; sie wird stille Beobachterin von Jobys Leben und dem Kampf eines Vaters, seine vergangenen Fehler zu sühnen, während er versucht, eine Beziehung zu einer Tochter aufzubauen, die er kaum kennt. Der Moment, in dem er endlich mit seiner Tochter wiedervereint wird, ist geprägt von Zurückhaltung und Schüchternheit, wobei sich ihre Zögerlichkeiten spiegeln. In diesem kurzen, transzendenten Augenblick lädt uns der Film ein, ihre unausgesprochene Verbindung zu bezeugen und ermöglicht ihnen, wenn auch nur für einen Augenblick, nebeneinander zu existieren.

Kiss of the Damned (USA 2012)

Schon der Titel gibt eine Haltung vor, die Xan Cassavetes mit ihrem Spielfilmdebüt sehr konsequent und stilsicher verfolgt. Ihre Geschichte vom wunderschönen Vampir Djuna, die sich in den Autor Paolo verliebt und sich mehr und mehr nach der Vergänglichkeit des Irdischen sehnt, ist ganz den philosophisch romantischen Motiven des Genres verpflichtet. Ein Fest für alle Sinne ist Cassavetes da gelungen, indem sie ganz konsequent ihre Vorliebe für die großen europäischen Vorbilder der 70er Jahre zelebriert. Man denkt an große Bilder wie die aus Harry Kümels »Blut an den Lippen« oder an die Farbenpracht eines Mario Bava, und doch entwickelt Cassavetes eine eigene Bildsprache und bringt dieses Genre auch im 21. Jahrhundert unter. Elegisch, erotisch und mit viel schwarzem Humor, etwa wenn Michael Rapaport in einem fantastischen Kurzauftritt für großes Vergnügen sorgt. Endlich wird der Vampirfilm wieder den Erwachsenen übereignet.

Dixieland (2015)

Kermit wurde gerade aus dem Gefängnis zurück in den von Trailerparks und schäbigen Stripclubs besiedelten amerikanischen Süden entlassen und ist fest entschlossen, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Auf dem Weg in eine neue Existenz verliebt er sich in Rachel, ein haltloses und wunderschönes Mädchen von Nebenan. Die beiden verbinden die schlechten familiären Verhältnisse, aus denen sie kommen. Der Versuch, ihrer armseligen Heimat gemeinsam zu entfliehen, treibt sie in einen leidenschaftlichen Strudel aus Liebe und Verbrechen. Das atmosphärische Außenseitermärchen über Zuneigung, Gesetzlosigkeit, Armut und Gewalt besticht durch seinen authentischen Stil und seine eingeschnittenen Momente von Interviewszenen, die dem Film noch ein Stück mehr Intensität verleihen. Mississippi-Reality bites. Chris Zylka und Riley Keough bringen als glückloses Pärchen in diesem brütend heißen Mississippi Drama die Leinwand zum Knistern. Bedford erzählt seine romantisch aufgeladene Bonnie-und-Clyde-Story modern, poetisch und mit herzzerreißendem Gefühl, das unter die Haut geht.